Aufbau und Funktion des Magnetdrahtspeichers

Übersichtsgrafik Magnetdrahtspeicher, die Positionen von Wortleitungen und beschichteten Drähten zeigend

Kernspeicher waren in der Herstellung relativ teuer. Die Tatsache, dass beim Auslesen der Information der gespeicherte Inhalt gelöscht wird und daher ein Neuschreiben notwendig ist, vergrößert die Zykluszeit (Auslesen und Neuschreiben). Halbleiterspeicher waren noch lange nicht serienreif und der Speicherinhalt verschwand mit dem Abschalten der Betriebsspannung.

Da die ersten Anlagen der 9000er Serie von UNIVAC (auch unsere 9200) mit Magnetdrahtspeichern aufgebaut wurden, beschreiben wir hier kurz ihre Funktion. Physikalisch gesehen ist ein Magnetdrahtspeicher ein Dünnfilmspeicher. Er benutzt als Informationsträger einen zusammen-hängenden Permalloy-Magnetfilm (81% Nickel, 19% Eisen) von etwa 1 Mikrometer, der sich auf einem Beryllium-Kupferdraht von ca. 0,13mm Durchmesser befindet.
Mit dem hier abgebildetem Ausschnitt könnte man also 4 Wörter mit je 3 Bit speichern.

Detailgrafik Magnetdrahtspeicher, beschriftet

Diese "Plated Wires" (beschichtete Drähte) wurden in Bahnen von "Word Straps" (Wort- bzw. Leseleitungen aus Kupfer) eingebettet. Jeder Kreuzungspunkt von Kupferband und Magnetdraht ist fähig, eine binäre Information (Bit) zu speichern. Der Magnetdraht ist die Bitlinie und als solcher Schreib- und Leselinie zugleich. Die Wortlinien bestehen aus dünnen Kupferfolien und adressieren eine Mehrzahl von Bits. In Drahtrichtung sind die Magnetdrähte nur schwer-, quer dazu jedoch leicht magnetisierbar
Zum Lesen der Information wird durch die Leseleitungen, die vertikal zum Magnetdraht liegen, ein Stromimpuls geschickt. Das durch ihn erzeugte Magnetfeld versucht den magnetischen Vektor an dieser Stelle des Drahtes in Drahtrichtung auszulenken. In Längsrichtung ist die Magnetschicht des Drahtes aber nur schwer zu magnetisieren. Der Magnetvektor wird etwas ausgelenkt und kippt sofort wieder in seine Ursprungslage zurück. Dieses "Wackeln" induziert im Draht eine sehr kleine Spannung. Hier wurde ein Bit ausgelesen ohne den Zustand zu zerstören. Die gespeicherte Information ist nach dem Lesevorgang noch vorhanden (im Gegensatz zum Kernspeicher). Das Vorzeichen der induzierten Spannung gibt Auskunft darüber, ob hier eine "1" oder eine "0" gespeichert ist.

Kleine Grafik zum Lesevorgang (Impuls auf der Wortleitung)
Kleine Grafik zum Schreibvorgang (Impuls auf Wortleitung und den Drähten)

Will man einen Zustand ändern (Schreiben), so wird zusätzlich zum Leseimpuls ein Stromimpuls durch den Draht geschickt. Wo beide Magnetfelder in zeitlicher Koninzidenz zusammentreffen wird die Richtung des Magnetfeldvektors geändert (oder auch nicht, wenn er vorher schon "richtig" stand). Eine neue Information (hier ein Bit) wurde abgespeichert.

Im Prinzip war das eine geniale Idee, kein Fädeln der Ringkerne, kurze Zykluszeit, preiswert und maschinell herzustellen.
 Doch in der Praxis gab es Probleme: Der Aufbau war recht empfindlich, Korrosion der Magnetschichten war eine der Ursachen für Ausfälle. Eine Reparatur im Feld war schwierig und aufwändig, es gab Reparaturprozeduren, um einzelne fehlerhafte Drähte zu identifizieren und auszuwechseln, was mit steigender Miniaturisierung immer schwieriger wurde.

Anfang der 70er Jahre kamen glücklicherweise die ersten Halbleiterspeicher auf den Markt, so dass die meisten Rechner mit Magnetdrahtspeicher auf Halbleiterspeicher mit INTEL-Chip´s umgerüstet wurden, so auch unsere UNIVAC 9400. 
Dagegen laufen unsere beiden UNIVAC 9200 noch mit dem originalen Drahtspeicher, vermutlich die letzten noch funktionsfähigen Magnetdrahtspeicher der Erde !

Im Weltall, am Rande unseres Sonnensystems, tun Magnetdrahtspeicher seit 1977 immer noch ihren Dienst: in den Kommando- und Lageregelungs-Rechnern (CCS + AACS) der beiden Voyagersonden 1 und 2 arbeiten sie fehlerfrei bis heute (2022) und spielen einen weiteren Vorteil gegen Halbleiterspeicher aus, sie sind widerstandsfähiger gegenüber der kosmischen Strahlung.